Ausstellung - Zoran Tairovic macht aus der europäischen Ahnengalerie ein Tarot-Spiel der Komödianten

König, Dame, Bube, Narr

VON ARMIN KNAUER

 

REUTLINGEN. Rasch huscht der Pinsel von Zoran Tairovic über die Leinwand. Von der Staffelei schaut ihm eine dunkelhäutige Schönheit entgegen, scheu drückt sie ein Blumenbukett an die Brust. Weiter flitzt der rastlose Pinsel. Wie von Zauberhand füllt sich der Hintergrund mit Ornamenten. Passanten bleiben stehen, Kursbesucher vielleicht, wir sind im Foyer der VHS Reutlingen. Tairovic lässt sich nicht ablenken. Einen Engel hat er schon fertig, inspiriert von dem auf der Marienkirche. Dieser hier hat dunkle Haut und schwarzes Haar und ist auf scheue Art verführerisch.

Ernste, eindringliche Blicke

Drei Etagen höher hängen weitere Bilder von Tairovic. Ikonen denkt man erst, des Goldgrunds wegen und der dunklen eindringlichen Gesichter, die den Betrachter ernst fixieren. Aber dann erkennt man Spieler, Gaukler, Künstler. Sieht neckische bunte Farbkleckse im feierlichen Ernst. Und merkt plötzlich, es sind Spielkartenfiguren, die Tairovic hier wie eine Ahnengalerie aufgereiht hat - Tarot-Figuren. In der Galerie Gutekunst setzt sich diese Tarotkarten-Ahnenreihe fort: König, Bube, Dame und immer wieder der Narr. Hier ist er ein junges Mädchen, schalkhaft, geheimnisvoll und, auch hier: verführerisch. Man dürfe nicht nur das Abbild sehen, fordert Tairovic in einer abenteuerlichen Mischung aus Serbisch und Englisch. Vielmehr müsse man seine Bilder als Symbole innerhalb eines großen Ganzen sehen. Gut und schön, aber bei einem Multitalent wie dem Künstler aus dem nordserbischen Novi Sad: Wo fängt es an und wo hört es auf, dieses große Ganze? Filme hat er gemacht, eine Oper »Invisible Gypsy« herausgebracht. Filmmusik hat er geschrieben und ein Musical komponiert, »Prayer of The South«, das beim renommierten Edinburgh-Festival aufgeführt wurde. Ein interkulturelles Theater hat er gegründet, Essays publiziert, tief in der Philosophie geschürft.

Und ein ausuferndes Theoriegebäude hat er geschaffen. Tairovic zieht ihm mit zackigen Armbewegungen Wände ein, wenn er es erläutert. Im Zentrum dieses Weltgebäudes stehen immer wieder die Roma, denen er selbst angehört.

Brücke zwischen Ost und West

Die Roma seien es gewesen, die die Brücke schlugen zwischen indischer Brahmanen-Weisheit und dem europäischen Aufbruch in die Moderne. Die Roma hätten mit ihren Tarot-Karten erst die Begeisterung an der Darstellung der menschlichen Figur mitgebracht, und als Gaukler und fahrende Spielleute auch das Theater und die Musik. Als Kronzeugen ruft Tairovic den Renaissancekünstler Antonio Solari aus Neapel auf, genannt »Il Zingaro«, der Zigeuner. Den Mailänder Dom hat er gebaut und einen der Kreml-Paläste. Seine Tarotkarten-Galerie sieht Tairovic auch als eine in der Traumsphäre angesiedelte Ahnengalerie der Roma-Künstlerfamilie Solari.

Immer wieder Tarot: Die Geheimlehre der Spielkarten soll sogar die Fresken Giottos inspiriert haben, die Bilder Dürers und Mantegnas - beide sollen selbst Tarot-Sätze gezeichnet haben. Und selbst wenn diese Einflüsse seit der Reformation geächtet wurden, lebte in Tairovics Sicht die Tarot-Lehre in den Freimaurerzirkeln fort. Unsichtbar wie der »Invisible Gypsy«. Man mag das alles für romanhaft halten, aber das ist nicht der Punkt; Tairovics ist kein Historiker, sondern Künstler. Er zeigt, dass man die Geschichte auch anders erzählen könnte und plötzlich wären die Außenseiter vom Dienst die wahren Mainstreamer. Und sind sie es vielleicht nicht zumindest viel mehr als man denkt?

Der Selbstgefälligkeit, die immer so tut, als habe sich das Abendland quasi selbst erfunden, fährt Tairovic jedenfalls mit seinem Tarot-Modell in die Parade. Nicht aggressiv, sondern spielerisch. Er zeigt, dass sich hinter der weihevollen Ahnengalerie europäischer Kultur auch Komödie und Gauklertum verbergen - und schon immer mehr interkulturelle Buntheit, als so mancher Leitkultur-Dogmatiker sich je träumen ließ. (GEA)

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